Die demokratische Alternative

Wie bilanzieren Sie die Aktionskonferenz vom Wochenende und den Stand der Bewegung?

Die Beteiligung übertraf unsere Erwartungen. In der Öffentlichkeit finden wir breite Zustimmung. Nur eine kleine Minderheit will noch mehr Globalisierung in der Landwirtschaft, noch mehr Ungleichheit, noch mehr Abbau von Arbeitnehmerrechten. Der Druck für eine neue Wirtschafts- und Außenwirtschaftspolitik ist da.

2016 gingen Hunderttausende gegen Freihandelsabkommen auf die Straße. Zuletzt entstand der Eindruck, US-Präsident Donald Trump habe TTIP gestoppt.

Der Eindruck trügt. Unser Druck hat längst vor Trumps Ankündigung bewirkt, dass sich am Verhandlungstisch nichts mehr bewegte. Die von den USA und der EU geplanten Deals etwa bei Lebensmittelstandards oder Schiedsgerichten kamen nicht zustande. Der Prozess ist faktisch gescheitert, übrigens auch in den USA. Dort ging es nicht um Chlorhühnchen, sondern um die unpopuläre Öffnung der öffentlichen Beschaffung für europäische Konzerne. Das CETA-Abkommen mit Kanada hängt aber noch in der Luft. Wird in einem einzigen EU-Mitgliedsstaat die Ratifizierung gestoppt, so ist das ganze Projekt geplatzt.

Was wollen Sie mit dem Aktionstag gegen CETA am 29. September erreichen?

Wir haben Verfassungsklagen eingereicht. Sollte das Bundesverfassungsgericht CETA für rechtmäßig erklären, steht die Ratifizierung in Bundestag und Bundestag an. Wir werden wohl CETA im Bundestag nicht verhindern können, aber im Bundesrat hat die Große Koalition keine Mehrheit. Hier können Länder, in denen Grüne und LINKE mitregieren, in der Summe CETA per Nein oder Enthaltung blockieren. Darauf arbeiten wir hin. Im Oktober wird in Bayern und Hessen gewählt. Hessen ist schwarz-grün regiert. In Bayern wird die CSU wohl bald einen Koalitionspartner suchen müssen.

Die LINKE regiert in Berlin, Brandenburg und Thüringen mit. Wie ist dort die Resonanz?

In Berlin ist die Resonanz am stärksten, dort ist die Zivilgesellschaft etwas aktiver als in Brandenburg oder Thüringen. Noch spannender ist das Abstimmungsverhalten der Grünen. Die von ihnen getragenen Regierungen in Baden-Württemberg und Hamburg sind bisher eher auf Pro-CETA-Kurs. Das wollen wir ändern.

Angesichts der öffentlichen Debatte könnte man derzeit meinen, dass die Welt nur vor der Alternative Protektionismus oder neoliberaler Freihandel stünde.

Das ist eine Scheinalternative. Auch Trump ist kein Protektionist. Er will mehr exportieren und verlangt von Europa niedrigere Einfuhrzölle. Ihm stößt auf, dass Deutschland große Handelsbilanzüberschüsse mit den USA hat. Dass hätte er gerne andersrum. Daher sein »America first«. Die deutsche Handelspolitik lautet unausgesprochen »Germany first«.

Deutsche Konzerne mit ihrer Exportoffensive werden nicht freiwillig auf ein nachhaltiges Wirtschaften umsteigen. Wie wollen Sie Ihre Ziele durchsetzen?

Indem wir der Politik klarmachen, dass sie Wählerstimmen verlieren, wenn sie weiterhin Politik für Konzerne und gegen die Mehrheit der Menschen machen. Wir sind doch nicht dazu da, in alle Welt Fleisch zu exportieren und dazu aus Südamerika große Mengen Soja zu importieren. Das dient einzig und allein dem Profit weniger.

2019 wird ein neues EU-Parlament gewählt. Wollen Sie in den Wahlkampf eingreifen?

Das EU-Parlament hat bisher relativ kritiklos die Freihandelsabkommen von Regierungen und EU-Kommission abgenickt. Wir verlangen von den Kandidaten ein klares Bekenntnis gegen diese neoliberale Handelspolitik.

Neben CETA sind derzeit aber noch andere Freihandelsabkommen geplant.

Die sind ähnlich gestrickt. Die Afrika-Abkommen werden derzeit übrigens von den Afrikanern aufgehalten, weil Nigeria und Tansania sie nicht ratifizieren wollen. Das EU-Japan-Abkommen (JEFTA) ist genauso schädlich wie CETA. Und viele andere Abkommen befinden sich in der Pipeline - etwa mit Südamerika, Tunesien, Marokko, den Philippinen, Indonesien, Indien, Australien oder Neuseeland.

Wie sehen Sie die aktuellen Debatten über Migration und Asyl?

Handelspolitik ist eine wesentliche Migrationsursache. Besonders in Afrika zerstören europäische Agrarexporte die Existenzgrundlage von Kleinbauern, die dann notgedrungen woanders eine neue wirtschaftliche Grundlage suchen. Deshalb muss diese Agrarpolitik aufhören. Es kann nicht sein, dass sich unsere Regierung von früh bis spät über Flüchtlinge unterhält, aber nicht willens ist, die Fluchtursachen abzustellen, auf die sie direkten Einfluss hat - vor allem die Agrarexportpolitik.

Könnte Ihr Engagement den Rechtspopulisten den Wind aus den Segeln nehmen?

Absolut. Wir stehen für die demokratische Alternative zum Neoliberalismus. Die Rechtspopulisten stehen für die undemokratische Alternative. Es ist kein Zufall, dass die rechte FPÖ in Österreich 2017 im Wahlkampf versprach, CETA zu stoppen. Und jetzt hat sie es als Regierungspartei in der Koalition durchgewunken. Glaubwürdigkeit sieht anders aus.

Welche Handelspolitik wäre aus Ihrer Sicht gerecht?

In Wirklichkeit ist die Globalisierung zu weit gegangen. Wir brauchen eine neue Balance zwischen regionalen und globalen Märkten.....

 

aus neues-deutschland.de / 08.02.2018 :

Union und SPD wollen Freihandelsabkommen vorantreiben - mit weitreichenden Auswirkungen

Haidy Damm

Die Parteien der Großen Koalition wollen nicht nur das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (CETA) ratifizieren, sondern auch eine Reihe weiterer Abkommen voranbringen. Während die Verhandlungen der EU sowohl mit den USA (TTIP) als auch mit Indien auf Eis liegen, sollen die Abkommen mit Japan, den Mercosur-Staaten oder Mexiko auch mit Hilfe aus Berlin zum Abschluss gebracht werden. So steht es in der Neuauflage des Koalitionsvertrages zwischen der Union und SPD.

All diese Abkommen hätten negative Folgen für Verbraucherrechte, Umweltstandards und demokratische Prinzipien. Darauf verweist die am Mittwoch in Brüssel vorgestellte Studie der Nichtregierungsorganisationen Power-Shift und Foodwatch. Sie fordern den Stopp der Verhandlungen und eine »komplette Neuausrichtung der europäischen Handelspolitik«, wie es in der Studie »Handel um jeden Preis?« heißt. Die EU habe aus den Protesten gegen TTIP und CETA offenbar nichts gelernt, sagte Thilo Bode, Geschäftsführer von Foodwatch International.

Bei den geplanten Abkommen gehe es nicht nur um den Wegfall von Zöllen oder die Öffnung von Märkten. Ähnlich wie bei TTIP und CETA seien sie Freihandelsabkommen einer »neuen Generation«, die auch die Beseitigung sogenannter nichttarifärer Handelshemmnisse beinhalteten, also Regulierungen im Gesundheits-, Verbraucher- und Umweltschutz. Standards könnten durch Handelsverträge gesenkt werden, sodass sie in Zukunft nicht mehr einseitig von einem Handelspartner verschärft oder verbessert werden könnten, so Studienautor Thomas Fritz von PowerShift, der die Studie zusammen mit Alessa Hartmann im Auftrag von Foodwatch erstellt hat. Hinzu komme, dass in keinem der Abkommen das europäische Vorsorgeprinzip abgesichert sei. Stattdessen soll der »nachsorgende Ansatz« der Welthandelsorganisation gelten, der letztlich bedeutet: Eine Substanz ist so lange zugelassen, bis deren Schädlichkeit nachgewiesen ist. Beim Vorsorgeprinzip der EU ist es genau umgekehrt: Hier muss ein Unternehmen die Unschädlichkeit vor der Zulassung nachweisen.

Untersucht werden in dem Bericht fünf EU-Handelsabkommen, denen bisher nur wenig öffentliche Aufmerksamkeit zuteil wurde: mit Japan, Vietnam, Indonesien und Mexiko sowie mit dem Mercosur-Verbund der südamerikanischen Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay.

Ein Streitpunkt bleiben die verhandelten Investitionsschutzklagerechte (ISDS). Während die EU auf die durch CETA reformierte Version setzt, beharrt beispielsweise Japan im Abkommen JEFTA auf dem alten ISDS, das im Mittelpunkt der Proteste gegen CETA und TTIP stand. Kritiker befürchten - auch in der reformierten Variante - eine Einschränkung demokratischer Prinzipien, weil Konzerne politische Entscheidungen durch Klagen aushebeln könnten. Im November hatte die EU-Kommission erklärt, das Handelsabkommen mit Japan ohne den Investitionsteil als »EU-only-Abkommen« ratifizieren zu wollen. Damit ist sie nicht auf die Ratifizierung in den Mitgliedstaaten angewiesen. Sie erwägt zudem, Handels- und Investitionsschutzabkommen in Zukunft getrennt voneinander zu verhandeln und ratifizieren zu lassen. Auch in den Verträgen mit Vietnam, Indonesien und Mexiko ist ein umfassender Investorenschutz geplant.

Konkret untersucht wurden auch die Auswirkungen auf die Landwirtschaft und die Umwelt. So würde das Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten die Fleischimporte aus Südamerika in die EU ausweiten. Das hätte nicht nur Auswirkungen auf die europäische Fleischindustrie, sondern auch auf die Umwelt - etwa in Brasilien. Dort produzieren Rinderfarmer enorm kostengünstig große Mengen, indem sie einen Großteil der Tiere auf gerodeten Regenwaldflächen halten.

Ähnliches gilt für Palmöl aus Indonesien. Rund zehn Prozent der Exporte des weltgrößten Palmölproduzenten gehen in die EU. Das Land erhofft sich durch den Wegfall von Handelsschranken mehr Exporte nach Europa. Damit könnten die Anbauflächen noch weiter wachsen. Die Folge wären deutlich höhere Treibhausgasemissionen. Zwar setzt sich die EU offiziell für einen nachhaltigen Anbau von Palmöl ein - allerdings nur mit freiwilligen Initiativen.

 

 

Demonstrierende verklagen die Freie und Hansestadt Hamburg wegen Einschränkungen des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit im Zuge der Proteste gegen das G20-Treffen im Juli 2017. Hamburger Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte wollen durch das Verwaltungsgericht Hamburg anhand von Einzelfällen exemplarisch feststellen lassen, dass Versammlungsverbote und Polizeieinsätze gegen Demonstrierende rechtswidrig waren.

Der G20-Gipfel war kein »Festival der Demokratie«, wie Innensenator Andy Grote im Vorwege behauptete. Stattdessen wurde der Ausnahmezustand zelebriert, in dem die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger außer Kraft gesetzt wurden.

Alles begann mit der Auseinandersetzung um die geplanten Protestcamps, in denen mehrere Tausend Menschen übernachten sollten, um gegen das G20-Treffen zu protestieren. Mehrtägige Veranstaltungen mit mehrtägigem Protestgeschehen benötigen Beherbergung der Demonstrierenden. Die geplanten Protestcamps waren selbst Teil des geplanten friedlichen Protestes. Schon früh stellte der Hamburger Senat klar, dass er solche Camps nicht zulassen würde. Dieses Verbot wurde von der Versammlungsbehörde und der Polizei mit allen Mitteln durchgesetzt, begleitet von einer Strategie der Diffamierung und Kriminalisierung friedlicher Versammlungen. Dabei wurde das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit vollständig missachtet.

Die vier folgenden Fälle halten die Demonstrant*innen und Anwält*innen für exemplarisch:

Camp Entenwerder

Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht hatte explizit die Übernachtung beim G20-Protestcamp Entenwerder erlaubt. Am 5. Juli teilte das Gericht mit, dass zu den bisher genehmigten Veranstaltungszelten bis zu 300 Schlafzelte für jeweils zwei bis drei Menschen aufgestellt werden dürfen. Trotzdem schritt die Polizei gegen das „Antikapitalistische Protestcamp“ ein und verhinderte es so. Der Anwalt Martin Klingner spricht von einem „Verstoß gegen die Gewaltenteilung“ und einem „Putsch der Exe-kutive gegen die Judikative“. Ein Ziel der Klage ist, dass die polizeilichen Einsätze rechtswidrig erklärt werden.

Camp Altona

Das Camp in Altona habe ebenso durch Schikanen der Polizei nicht stattfinden können wie geplant. Laut der Anwältin Ulrike Donat habe hier die Sicherheitsbehörde die Herrschaft über verfassungsrechtlich garantierte Grundfreiheiten übernommen. Schon im Vorfeld habe die Behörde das Camp verhindern wollen. Einer der Anmelder des Camps schildert am Donnerstag bei der Pressekonferenz im Gängeviertel seine Erlebnisse vor Ort im Juli. Als Mitglied eines Vereins, der sich bundesweit an der Organisation der Proteste gegen den Gipfel beteiligt, habe er viel Erfahrung. So etwas wie in Hamburg habe er noch nie erlebt: „Wir fühlten uns von der Behörde verarscht.“ Die Kläger*innen sind der Ansicht, Camps müssten geschaffen werden, um den Portest zu ermöglichen.

Polizeieinsatz 7.7.2017

Am Freitagvormittag des Gipfels nahmen Demonstrierende an einer Blockade teil, um die Protokollstrecke von US-Präsident Donald Trump zu blockieren. Der Zug wurde von der Polizei getrennt und die Demonstrierenden angegriffen, ohne Vorwarnung. Ein Video zeigt, wie Polizeibeamte mit Schlagstöcken hinter Demonstrierenden in Sommerkleidung herrennen. Ein weiteres Video zeigt die blutende Platzwunde am Kopf einer Attac-Aktivistin aus Köln, die auch als Klägerin auftritt.Ihr Anwalt Dieter Magsam spricht im diesem Fall von „Anwendung nackter Gewalt gegen friedliche Menschen“ seitens der Polizei und will, dass die Stadt Hamburg die Verfassungswidrigkeit des Einsatzes anerkennt.

Versammlungsverbote 7.7.2017

Beim vierten Fall geht es um drei Veranstaltungen, die die Nichtregierungsorganisation Attac in der großen Demonstrationsverbotszone angemeldet hat. Jeweils für 80, 50 und 50 Teilnehmer*innen. Sie fielen aber alle drei unter das allgemein ausgesprochene Versammlungsverbot und durften nicht innerhalb der sogenannten „Blauen Zone“ stattfinden. Für die Anwältin Waltraut Verleih aus Frankfurt gibt es hier mehrere Verstöße gegen Grundrechte wie Versammlungs-, Meinungs-, Kunst- und Handlungsfreiheit. Ziel der Klage ist auch, die polizeiliche Gefahrenprognose zu prüfen.

Das repressive Vorgehen gegen die Camps fand seine Fortführung im polizeilichen Vorgehen gegen eine Vielzahl von Versammlungen, die sich gegen das G20-Treffen richteten. Beispielhaft war der Polizeieinsatz am 7. Juli 2017 an der Straßenkreuzung Sechslingspforte/ Ackermann-/ Ekhofstraße. Gegen friedliche Versammlungsteilnehmende wurde Pfefferspray eingesetzt, sie wurden geschlagen und getreten sowie erheblich verletzt.

Gemeinsame Pressekonferenz von RAV e.V., Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V. sowie Attac Deutschland e.V. am Donnerstag, 11. Januar 2018

 

Hamburger Polizei ist uneinsichtig

Die Hamburger Polizei hat keine Beweise für einen geplanten Hinterhalt im Schulterblatt am 7. Juli und sieht sich trotzdem im Recht.

G20-Demonstranten stehen auf Hausdach

Hinterhalt für die Polizei? Beweise gibt es dafür bisher nicht. Foto: Miguel Ferraz

HAMBURG taz, 9. Okt. 17 | Ist es Sturheit, PR-Strategie oder Überzeugung? Obwohl es keine Beweise gibt, hält die Polizei Hamburg weiter an ihrer Darstellung fest, am 7. Juli hätten Aktivist*innen im Hamburger Schanzenviertel einen Hinterhalt auf die Polizei geplant. Nach dem G20-Gipfel war die Polizei in Erklärungsnot geraten, weil sie erst nach Stunden das Schanzenviertel gestürmt hatte, während Unbekannte dort schon längst Läden geplündert und meterhohe Feuer entzündet hatten. Anwohner*innen und Gewerbetreibende fühlten sich von den rund 23.000 Polizist*innen, die in der Stadt waren, im Stich gelassen.

Es habe Lebensgefahr für die Beamt*innen bestanden, hatte Polizeisprecher Timo Zill am nächsten Tag gegenüber der Presse gesagt. Es habe Hinweise gegeben, Aktivist*innen hätten sich mit Eisenspeeren, Gehwegplatten, präparierten Feuerlöschern, Molotowcocktails und Steinen bewaffnet und auf den Dächern im Schulterblatt positioniert. Erst gegen ein Uhr morgens hatte ein Sondereinsatzkommando (SEK) das Viertel geräumt.

In einer Kleinen Anfrage wollte die Abgeordneten der Hamburger Linksfraktion Christiane Schneider nun wissen, welche der Gegenstände im Schulterblatt tatsächlich gefunden wurden. Die Antwort: keine. Auch ein Polizeiauto, das nach Polizeidarstellungen durch einem Bewurf mit Molotowcocktails abgebrannt war, sei nun doch nicht abgebrannt, schreibt der Senat in seiner Antwort.

Von einer falschen Lageeinschätzung will Zill dennoch nicht sprechen. „Im Gegenteil“, sagt er. „Wir halten ganz klar an der bisherigen Darstellung der Ereignisse fest.“ Die Hinweise auf den Hinterhalt seien von Zivilpolizist*innen gekommen, die im Schanzenviertel unterwegs waren, und von Mitarbeiter*innen des Verfassungsschutzes. Als die Polizei schließlich das SEK ins Viertel schickte, habe sich laut Zill der Eindruck ergeben, die Gefahrenprognose sei völlig richtig gewesen. „Es gab ja Personen auf den Dächern“, sagt er. „Nach dem, was wir da gesehen haben, musste sich die Gefahr realisieren.“

Auf die Frage, warum dann keine Beweismittel gefunden worden seien, erklärt Zill, Beweissicherung sei keine Priorität des SEK gewesen. Stattdessen sei es darum gegangen, die Häuser zu sichern. Erst vier Tage nach dem Gipfel hat die Polizei versucht, Beweismittel im Schulterblatt und auf den dortigen Dächern zu sichern. Der Senat begründet das in seiner Antwort auf Schneiders Anfrage mit Ressourcenmangel.

Schneider gibt sich mit dieser Begründung nicht zufrieden. „Klar ist, dass die Version der Polizei mangels Beweisen stark erschüttert ist“, sagt sie. Damit stelle sich „in aller Schärfe“ die Frage, warum die Polizei die Anwohner*innen in der Schanze trotz Plünderungen und Bränden sich selbst überlassen habe. Und auch, warum dann, Stunden später, schwer bewaffnete SEK-Beamt*innen eingerückt seien und das ganze „moderne Polizeiequipment“ aufgefahren hätten.

G20-Asservatenkammer

Die Polizei hat über die Tage des Gipfelprotests 1.659 Beweise gesammelt. Nur keine im Schulterblatt.

Das fand sie andernorts:

Eisenspeere: 0

Pyrotechnik: 50

Krähenfüße: 3

Feuerlöscher: 3

Transparente: 5

Spraydosen: 16

Drahtseile/Seile: 3

Stahlkugeln: 2

Zwillen: 2

Molotowcocktails: 5

Funkgeräte: 2

Zeltstangen: 3

Sonstiges: 103

Für den SEK-Einsatz rechtfertigte sich der Einsatzabschnittleiter aus Niedersachsen, Michael Zorn, am 19. Juli vor dem Innenausschuss. Er nannte den Einsatz einen „Antiterroreinsatz“. Am Abend des 7. Juli habe ihn der Gesamteinsatzleiter Hartmut Dudde angerufen. Der „befürchtete, dass die Kräfte (also normale Polizeieinheiten, Anm. d. Red.) bei einem Vorrücken von den Dächern oder auch vom Gerüst mit Molotowcocktails, Gehwegplatten, Steinen, Eisenstangen und so weiter beworfen werden, sodass eine akute Lebensgefahr für die Einsatzkräfte bestünde“, sagte Zorn dem Ausschuss.

Der Einsatzleiter der Kriminalpolizei, Jan Hieber, fügte hinzu, es habe Hinweise gegeben, dass Personen Läden geplündert und dabei Metallteile entwendet hätten, um diese als „selbstgemachte Eisenspeere“ bereitzulegen. Dazu schreibt der Senat nun: „Beweismittel, die die damals vorliegenden Hinweise bestätigen, liegen nach derzeitigem Kenntnisstand nicht vor.“ Er weist aber darauf hin, dass die Ermittlungen der Sonderkommission „Schwarzer Block“ noch andauern.

Offen bleibt die Frage nach der Plausibilität der Hinweise, die der Verfassungsschutz gegeben haben soll. Die Frage, ob es dort überhaupt üblich ist, dass V-Personen in konkreten Situationen Hinweise an die Polizei geben, ließ die Behörde unbeantwortet. Das sei schließlich Thema des Sonderausschusses G20, sagte eine Sprecherin. Dieser Aufarbeitung wolle man nicht vorgreifen.

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Im Einsatzbericht der Polizei steht, der Schwarze Block habe mit Steinen und Flaschen geworfen. Auf dem Video ist davon nichts zu sehen. (Foto: Michael Probst/AP)

  • Nach den Ausschreitungen während des G-20-Gipfels Anfang Juli in Hamburg ist deren Aufarbeitung noch nicht abgeschlossen.
  • Politik, Demonstranten und Polizei schieben sich gegenseitig die Verantwortung für die Krawalle zu.
  • Ein Polizeivideo von einem Zusammenstoß zwischen Demonstranten und Polizei am Rondenbarg legt nahe, dass die Sicherheitsbehörden den Vorfall im Nachhinein anders darstellten als er tatsächlich war.
Von Ronen Steinke

Es ist die größte Festnahme-Aktion während der gesamten G-20-Tage Anfang Juli in Hamburg: 73 Demonstranten werden im Morgengrauen des Gipfel-Freitags "zu Boden gebracht", so notiert es die Polizei. Viele werden mit dem Gesicht auf den Asphalt gedrückt in einer Straße im Stadtteil Altona. Gleichzeitig ist dies auch der größte einzelne Gewalt-Vorwurf an die Demonstranten: Sie hätten die Polizei bei Tagesanbruch dort geradezu überfallen. Die Beamten hätten sich gegen einen "massiven Bewurf" mit Flaschen und Steinen zur Wehr setzen müssen, aus einem geschlossenen schwarzen Block von 200 Personen.

Wegen der gesamten G-20-Krawalle laufen etwa 160 Ermittlungsverfahren, 32 Verdächtige sitzen in Untersuchungshaft. Aber diese eine Auseinandersetzung an der Straße Rondenbarg in Altona sticht heraus. Mindestens 59 Ermittlungsverfahren beziehen sich allein hierauf, 13 Demonstranten von dort kamen in Untersuchungshaft. Mindestens vier von ihnen sitzen noch heute, drei Männer und eine Frau aus Italien. Ein Polizeivideo des Einsatzes allerdings, das bislang unter Verschluss blieb und nun von der Süddeutschen Zeitung und dem NDR-Magazin Panorama eingesehen werden konnte, weckt Zweifel an der bisherigen öffentlichen Darstellung der Behörden.

Um 6.28 Uhr wird die erste Fackel geworfen. Sie landet auf der leeren Straße

Man sieht durch die Augen der Polizei, die Kamera ist auf dem Dach eines Mannschaftsbusses montiert. Es ist 6.27 Uhr, die Sicht ist gut, die Straße frei. Ein Demonstrationszug kommt die Straße entlang. Links ein Fabrikgebäude der Firma Transthermos, rechts ein dichtes Brombeergebüsch. Zumindest von vorne sieht die Menschengruppe, die da herannaht, vollkommen schwarz aus, nur eine einsame rote Fahne ragt aus dem Pulk heraus. Die vordersten Demonstranten tragen ein weißes Transparent vor sich her, "Gegenmacht aufbauen", steht darauf. Sie bewegen sich "gehenderweise", wie eine Analystin des Landeskriminalamts (LKA) es später auf der Grundlage dieses und dreier weiterer Polizeivideos beschreibt, also langsam. Ebenso langsam bewegen sich die Beamten auf sie zu, behelmt und gerüstet. Als beide Seiten fast zum Stehen kommen, sind sie noch fünfzig Meter auseinander. Die beiden Blöcke sehen sich an.

Was dann passiert, analysieren sie im LKA intern sehr nüchtern.

6.28:05 Uhr: Eine bengalische Fackel fliegt aus dem Pulk heraus in Richtung der Polizei, notiert die LKA-Ermittlerin. Der Bengalo landet auf leerer Straße, etwas rosafarbener Rauch steigt auf. 6.28:10 Uhr: Ein zweiter Bengalo fliegt, wiederum auf die weithin leere Straße. 6.28:18 Uhr: Ein dritter Bengalo landet auf der Straße, wieder zu weit entfernt von den Beamten, um als eine versuchte Körperverletzung gelten zu können. Irgendwo knallt ein Böller. Ein Polizeiführer hat jetzt genug, wie man im Video hören kann: "Bleib stehen", befiehlt er dem Fahrer eines Polizeibusses, der noch im Schritttempo voranrollt, "steigt aus, mir reicht das aus". Auf das Kommando hin stürmen die Polizisten los, die Demonstranten drehen sich um und rennen fort. 6.28:36 Uhr: Wasserwerfer beschießen von hinten die Demonstranten, die also eingekesselt worden sind.

Was man in dem Video nicht sieht: ein einziger Steinwurf. Oder eine einzige Flasche. Unmittelbar angegriffen wurde - zumindest vor dem Sturm der Polizei - kein Beamter. Man würde es sehen.

Brandenburger Polizeibeamter ist in den Akten der einzige Zeuge

"Als sich die Menschenmasse circa 50 Meter vor uns befand, wurden wir aus ihr massiv und gezielt mit Flaschen, Böllern und Bengalos beworfen", schrieb hingegen der stellvertretende Einsatzführer der Brandenburger Bundespolizei-Einheit unmittelbar nach diesem Einsatz, in einer "zeugenschaftlichen Darstellung des Sachverhalts", die der SZ vorliegt. "Steine trafen die Beamten und die Fahrzeuge." Nur auf Grund der "Schutzausstattung" sei kein Polizist verletzt worden. "Um die gegenwärtigen Angriffe abzuwehren, lief die Hundertschaft in Richtung der Menschenmenge an, wobei der massive Bewurf mit Steinen weiter anhielt," heißt es in dem polizeilichen Bericht weiter.

Diese Darstellung ist Grundlage der erwähnten Strafverfahren und Haftbefehle. Sie ist in den verschiedensten offiziellen Papieren weitergetragen worden, stets mit dem Brandenburger Bundespolizei-Mann als einzigem Zeugen. Sie findet sich in allen späteren Justiz-Entscheidungen fast wortgleich wieder. Aber wenn man das Polizeivideo gesehen hat, das insgesamt zwölf Minuten und 23 Sekunden dauert, ist klar: Sie stimmt nicht.

Das heißt nicht, dass es nicht noch zu solcher Demonstranten-Gewalt hätte kommen können. Die Beamten haben hinterher diverse Gegenstände von der Straße aufgesammelt: drei Stahlseile, zwei Hammer, eine Zwille, drei Signalraketen. Es heißt auch nicht, dass dieser Polizeieinsatz nicht zur Gefahrenabwehr rechtens gewesen sein kann. Aber seit Wochen steht der Vorwurf von Straftaten im Raum, von schwerem Landfriedensbruch und gefährlichen Körperverletzungen durch Steinwürfe. Von einem "Angriff" von Gewalttätern, der "abgewehrt" werden muss, ist auf den Aufnahmen der Polizei nichts zu sehen.

Das LKA hat die Einsatz-Videos noch am Abend desselben Tages ausgewertet, dem 7.Juli, wie ein interner Bericht aus der Dienststelle 42 zeigt, schon um 21.37 Uhr hat sich die LKA-Analystin an ihre Arbeit gemacht. Schon am nächsten Tag, am Gipfel-Samstag, hat sie ihren Vorgesetzten berichtet, wie wenig Demonstranten-Gewalt auf den Aufnahmen in Wahrheit zu sehen sei - dass also an der Aussage des stellvertretenden Bundespolizei-Einsatzführers Zweifel angebracht seien.

Trotzdem erklärte Normen Großmann, Leiter der Bundespolizei-Inspektion Hamburg, noch am 19. Juli im Hamburger Innenausschuss, am Rondenbarg "setzte sofort ein massiver Bewurf ein, als eine Distanz von circa fünfzig Metern erreicht war, erneut mit Steinen, mit Flaschen, mit Pyrotechnik". Die Beamten hätten den Auftrag gehabt, die Demonstranten "zunächst einmal aufzustoppen und die weitere Absicht zu klären und die Gruppe zu überprüfen". Sie hätten dann aber stürmen und Menschen festnehmen müssen.

Ob Beamte verletzt wurden bei diesem Einsatz, konnte ein Sprecher der Polizei auf Nachfrage nicht beantworten, die Auswertung durch die Ermittler der Soko "Schwarzer Block" dauere an. Auch zum Video wollte er sich nicht äußern. "Der Angriff der Polizei kam aus dem Nichts", sagt dagegen ein Demonstrant, Nils Jansen, 22, der als Mitglied im Vorstand der Verdi-Jugend aus Köln angereist war.

Die Menschen flohen vor der Polizei und brachen sich dabei reihenweise die Knochen

Er spricht auch von Knüppelschlägen der stürmenden Polizei. Die politische Aufarbeitung des G-20-Gipfels hat für Hamburgs Behörden gerade erst begonnen. "G 20 geht erst los", sagt ein Sicherheitsexperte. Was den Vorwurf eines "bewaffneten Hinterhalts" auf den Dächern des Schanzenviertels betrifft, haben die Behörden sich inzwischen vorsichtig korrigieren müssen. Im Schanzenviertel waren Beamten mit Maschinenpistolen angerückt, um den vermeintlichen Hinterhalt auszuheben. Aber Beweise fanden sie nirgends, und das Video eines Molotow-Cocktails, der vom Dach herunter geworfen wird, ist im Nachhinein auch nicht mehr so eindeutig. Vielleicht war es nur ein Böller.

Am Rondenbarg wird die Aufarbeitung möglicherweise noch unangenehmer für die Polizei. Auch weil dort 14 Demonstranten verletzt wurden, manche von ihnen schwer. Sie stürzten über ein Geländer, als sie vor der stürmenden Polizei davonliefen. Hinter der Absperrung ging es zwei Meter tief hinab. Mit dem Funkspruch "Massenanfall von Verletzten" wurde die Feuerwehr gerufen, elf Demonstranten kamen mit Knochenbrüchen ins Krankenhaus.

In Hamburgs Parlament soll am 31. August erstmals der Sonderausschuss "Gewalttätige Ausschreitungen rund um den G-20-Gipfel" tagen. Politiker der Oppositionsparteien CDU und Linke sind damit aber nicht zufrieden: Sie wollen einen Ausschuss, der nicht nur Fragen stellen, sondern auch in Akten sehen darf.


Justiz nach G-20-Gipfel Sonderkommission "Schwarzer Block

  • Während der Krawalle um den G-20-Gipfel wurden Hunderte Polizisten und Demonstranten verletzt.
  • 186 Verdächtige wurden festgenommen, die Bilanz: Nur 51 Haftbefehle. Notrichter arbeiteten im Schichtbetrieb.
  • Die Sonderkommission "Schwarzer Block" soll jetzt weitere Verdächtige finden.
Von Ronen Steinke

Ein grünes Schimmern. Figuren leuchten im Dunkeln, man sieht sie nur durch eine Wärmekamera. Diese Bilder sind die einzigen, welche die Polizei vom Dach des Hauses Schulterblatt 1 im Schanzenviertel gemacht hat, als dort das Chaos überhandnahm am vorvergangenen Freitagabend. 36 Menschen wollen die Beamten zeitweise auf dem Dach gezählt haben. Von dort sei der gefährlichste Angriff der ganzen G-20-Krawalle ausgegangen, ein "bewaffneter Hinterhalt", sagt Hamburgs Innensenator Andy Grote. Der Grund, weshalb Maschinenpistolen ausgepackt wurden. "Bei Vorrücken der Polizei muss mit schwersten Verletzungen gerechnet werden", notierten die Beamten.

Doch als sie das Gebäude stürmen, sind es statt der 36 nur 13. Ob sie Steine geworfen haben, ist ungewiss, als die 13 Menschen um 23.26 Uhr gefesselt auf dem Boden liegen. Es seien viele Gaffer auf dem Haus gewesen, sagt später der Einsatzleiter des Sondereinsatzkommandos (SEK), Sven Mewes. Die Beamten finden keine Waffen, auch nirgends einen Molotowcocktail, wie sich aus ihren Aufzeichnungen ergibt. Bei keinem der 13 also können Hamburgs Richter einen konkreten Tatverdacht erkennen. "Bloße Anwesenheit ist keine Straftat", sagt Gerichtssprecher Kai Wantzen, und das heißt: Keiner der 13 bekommt einen Haftbefehl.

Hätte man gegen die 13 vom Dach etwas in der Hand, säßen sie noch

Ist der Rechtsstaat hilflos? Kapituliert er vor Leuten, die zeitweise ungehindert marodierten und zündelten? Der Fall hat Entrüstung ausgelöst, die Verunsicherung teils noch vertieft. Man habe nicht anders gekonnt, als die 13 laufen zu lassen, hat die Polizei sich seither erklärt. Schon am Samstag um 24 Uhr sei eine Höchstdauer für deren Haft abgelaufen.

Aber stimmt das? Die Frist gilt nur für polizeiliche Präventivhaft. Für Leute also, die keiner Straftat verdächtig sind. So ohnmächtig ist der Rechtsstaat nicht, dass er dringend Tatverdächtige laufen lassen müsste. Hätte man gegen die 13 etwas in der Hand, dann säßen sie noch, sagt der Strafverteidiger Christian Woldmann, der beim G-20-Gipfel im Dauereinsatz war.

So ist es oft gewesen während der Hamburger Protesttage. Geschäfte wurden geplündert, Hunderte Demonstranten und Polizisten verletzt. Aber nur 186 Personen hat die Polizei festgenommen, um sie für Kriminelles verantwortlich zu machen. Bei 85 von ihnen haben Staatsanwälte versucht, einen Haftbefehl zu erlangen. In 51 Fällen ließen sich Richter von der Beweislage überzeugen. Stellt man das den vielen schweren Vorwürfen gegenüber - Landfriedensbruch, Angriffe auf Leib und Leben -, ist das eine mickrige Bilanz.

Die Akten zeichnen ein Bild, mit dem die Polizei nicht zufrieden sein kann

170 Beamte der Sonderkommission "Schwarzer Block" sollen jetzt Verdächtige finden. Einstweilen aber sinkt deren Zahl sogar weiter. Am Mittwoch sind mehrere aus der U-Haft entlassen worden, weil Richter nicht mehr an einen Verdacht glaubten. Im Schanzenviertel und auf St. Pauli wird aufgeräumt, Scheiben werden instand gesetzt. Zugleich überprüfen Juristen all die hastigen Entscheidungen, die während des Gipfels getroffen wurden, von Notrichtern im Schichtbetrieb. Und die Akten zeichnen ein Bild, mit dem die Polizei nicht zufrieden sein kann.

Dabei zeigt sich zum einen, dass die Taktik des schwarzen Blocks aufgeht. Wenn sich alle im gleichen Stil vermummen, kann man sie schwer auseinanderhalten. Dafür können die Ermittler nichts, die Strafjustiz braucht freie Sicht aufs Individuum. Da helfen keine Wärmekameras, auf denen keine Gesichter zu erkennen sind. Über einen 25-jährigen Studenten, der am Freitag um 6.30 Uhr im Rondenbarg verhaftet wurde, einer Straße in Altona, schrieb ein Kommissar: "Einzelne Tathandlungen" konnte man nicht nachweisen. Wie bei fast allen der 73 Demonstranten, die an jenem Morgen "zu Boden gebracht" und gefesselt wurden.

Eine angehende Medizinstudentin - weder vermummt noch schwarz gekleidet

Zu ihnen zählte auch eine angehende Medizinstudentin, sie trug weder Vermummung noch überhaupt Schwarz - noch war sie "im Besitz von Waffen oder gefährlichen Werkzeugen". Die Abiturientin gehörte zur Verdi-Jugend; mit dieser hatte sie am Rondenbarg demonstriert. Der Haftbefehl sei rechtswidrig, entschied das Amtsgericht am Mittwoch. So endeten sechs Tage Untersuchungshaft.

"Die Polizeistrategie war von Beginn an nicht auf die gezielte Festnahme von Straftätern ausgerichtet, sondern auf eine gewaltsame Zerstreuung von Protestgruppen", kritisiert Peer Stolle, Vorsitzender des eher linken Anwaltsvereins RAV. Der schwerste Strafvorwurf jedenfalls, der nun übrig ist, geht gegen einen 27-Jährigen in Altona. Er soll aus seinem Fenster heraus die Piloten eines Polizeihubschraubers mit einem Laser geblendet haben. Versuchter Mord, sagt die Staatsanwaltschaft. Der Mann sitzt in U-Haft. Seine angebliche Tatwaffe indes war ein Disco-Laser, heißt es inzwischen im Landeskriminalamt, TÜV-geprüft für den Hausgebrauch und ungefährlich. In ein paar Tagen ist Haftprüfung.

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